Vorlesung
Peer Review Colloquium
Gemeinschaft und Kooperation:
Periodika und Publikationen der Siedler*innen von Wien
Im Vorhaben, verschiedene Methoden der theoretisch-wissenschaftlichen Arbeit in der Architektur anhand konkreter Themen und Fragestellungen zu vermitteln und gemeinsam auszutesten widmet sich das Peer-Review Colloquium im Wintersemester 2021 einen Kapitel der selbstorganisierten Wohnungsreform: der Wiener Siedler*innenbewegung.
Unter den kooperativen Ansätzen im Wohnungswesen stellt die Bewegung der Wiener Siedler*innen eine Besonderheit dar: kaum irgendwo wurde so umfang- und letztlich auch erfolgreich in Eigenregie eine Bodenreform von unten organisiert. Als Reaktion auf die Heiz-, Nahrungsmittel- und Wohnungsknappheit griffen die Betroffenen selbst zu den Mitteln, verschaffen sich Zugang zu Land, um darauf zu bauen, zu leben und zu wirtschaften: zunächst in wilden Besetzungen und selbstgebauten Unterkünften, bald in organisierter Form entstand mit der Bewegung der Siedler*innen in den Jahren der Zwischenkriegszeit ein umfangreichsten Gefüge materieller Selbsthilfe in genossenschaftlichen Strukturen, die ihre direkte Umsetzung in zahlreichen Siedlungen fand. Auch wenn ihr langfristig die Etablierung der Idee einer genossenschaftlich organisierten Stadt von Siedlerinnen verwehrt blieb, stellt die Wiener Siedlerinnenbewegung einen der eindruckvollsten Momente in der kooperativen Wohnungsreform dar.
In der Entgegnung der Wohnungslosigkeit steht das Engagement der Siedlerinnen oft im Schatten des Roten Wiens, von dem die Initiativen aber Unterstützung in vielfältiger Form erhielten: sei es durch die Umwidmung und Bereitstellung von Landressourcen, durch Geldkredite oder durch organisatorische Unterstützung. Die Initiativen des Verbands der Siedler und Kleingärtner, der entstandenen Genossenschaften, der vielen Siedlerinnen, die sich zusammenschlossen, um das Land zu organisieren, zu planen, zu bauen und gemeinsam zu leben darf dabei aber nicht übersehen werden: erst mit ihnen war die Wohnversorgung zu jenem bestimmenden politischen Thema geworden, mit dem das Rote Wien seine großangelegten Bauprogramme begann.
Im Umfeld der Bewegung der Siedler*innen entstanden eine Reihe von Zeitschriften, Organen und Publikationen, in denen sich die Fragen der Selbstverwaltung, Selbstorganisation und Kooperation widerspiegeln. Neben Anleitungen für den Gemüseanbau oder Kleintierhaltung finden sich hier auch Überlegungen zur Siedlungsform und ihrer Architekturen, zum Bauen, oder zur Organisation und Struktur des genossenschaftlichen Siedlungswesens. Das Peer-Review-Colloquium widmet sich im Wintersemester 2021 einer Auswahl solcher Publikationen und Periodika, und untersucht, wie sie in diesen Publikationen thematisiert wurden.
Die methodischen Herangehensweise wird auf Basis des für die verschiedenen Bauten unterschiedlich verfügbaren Materials gewählt; dabei wird auf vereinfachte Ansätze der Inhaltsanalyse, bildanalytische Verfahren, und diskurstheoretische Ansätze zurückgegriffen.
3.0h, 4 ECTS
aktive Teilnahme an der LV und Diskussion in der Gruppe